Sunday, March 18, 2012

Leipzig, die Zweite

Wieso die Zweite? Weil ich schon einmal in Lepizig war, zusammen mit einem Kumpel. Wir haben damals (Im Sommer 2011) das Campusfest besucht und Prinz Pi und Kellerkommando live gesehen. Anschließend sind wir nachts müde und angetrunken sechs Stunden lang durch die Stadt gelaufen, weil das Konzert um 3:00 zuende war, aber unser Zug um 9:00 fuhr.

Gestern habe ich mich erneut nach Leipzig begeben, um die Buchmesse zu besuchen und meine quasi-Schwester zu treffen. Die fast vierstündige Fahrt habe ich damit verbracht, an meinem neusten Projekt zu schreiben. Bis mir die Tinte im Kugelschreiber alle gegangen ist. Genau wie mein Handy-Akku. Da ich 90 Minuten vor besagtem Mädchen in Leipzig eingetroffen bin, hatte ich drei Prioritätsziele: 1.) Einen Kugelschreiber kaufen, damit ich auf der Rückfahrt schreiben kann, 2.) Geld abheben. 3.) Essen. Nummer 1 und 2 habe ich recht schnell erledigen können, dann ging es nach McDonalds zum Fraß. Leider hatten die zu der Zeit noch Frühstücksprogramm und eine unfreundliche Bedienung, also entschloss ich mich, schlicht und einfach ihre Steckdosen zu benutzen und mein Handy auf deren Kosten aufzuladen. Dann ging es zur Buchmesse. Oder sollte ich sagen, zur Cosplay-Messe. Nicht, dass ich etwas gegen Cosplay habe, aber manchmal hatte ich auf der Messe schon das Gefühl, als ob die Menschen in Zivil in der Unterzahl waren. Als erstes haben wir einen Verleger besucht, der meiner weiblichen Begleitung ihre Eintrittskarte geschenkt hat, dann haben wir verschiedene Jugendbuchverlage aufgesucht, um mein Werk anzuwerben. Zwischendurch haben wir eine Stunde lang im Kongresszentrum gehockt und Auszüge unserer Werke gegenseitig korrektur gelesen. Wenn man mich gefragt hätte, was genau wir gemacht haben, würde ich sagen, wir sind fast die ganze Zeit herumgelaufen. Das hört sich unspektakulär an, aber ich versichere euch, ich hatte meinen Spaß. Und meine „Schwester“ auch, davon bin ich überzeugt. Zum Schluss haben wir dann abgemacht, auf die Frankfurter Buchmesse zu gehen. Verkleidet.

Hier die Kurzgeschichte, die ich der Frau zum Lesen übergeben habe. Sie ist inspiriert durch diesen Song: 

 http://www.youtube.com/watch?v=do23sTe4dhA

Hier die Geschichte: 

 
Das Verhör

Die Tür öffnet sich mit dem unangenehmen Quietschen von nicht geölten Scharnieren. Zwei Wachen erscheinen am Eingang. Sie tragen schwarze Schutzwesten über ihren olivgrünen Uniformen, sowie Gasmasken. Außerdem Gewehre mit einer Gabelung unter dem Lauf, aus deren beiden silbrigen Enden periodisch Blitze hervorzucken. Elektroschocker. Die beiden Soldaten richten ihre Waffen auf mich.
„Hände hinter den Rücken!“, ruft einer. Zögernd gehorche ich.
„Jetzt dreh dich um!“. Im nächsten Moment spüre ich kaltes Metall an meinen Handgelenken, gefolgt vom Klicken von Handschellen. Dann wird etwas über meinen Kopf gestülpt und ich werde aus dem Raum gezerrt. Es geht mal nach links, mal nach rechts, mein Navigationssinn versucht mitzuhalten, so gut es geht, aber nach einer Weile verliere ich völlig die Orientierung. Ich bezweifle jedoch, dass die Wachen den direkten Weg zu dem Ort nehmen, zu dem sie mich bringen sollen, wo auch immer das ist. Plötzlich bleibe ich stehen. Vor mir höre ich wieder das gequälte Quietschen einer sich öffnenden Tür, dann werde ich geschubst.
„Nehmt ihm die Maske ab!“, höre ich jemanden sagen. Es ist ein Mann und seine Stimme klingt nicht so, als würde er eine Gasmaske tragen. Im nächsten Moment werde ich von einem extrem hellen Licht geblendet, wahrscheinlich haben sie einen Scheinwerfer oder Ähnliches direkt auf mich gerichtet. Das würde auch die Wärme auf meinem Gesicht erklären. Jemand gibt mir eine Ohrfeige.
„Aufwachen!“, knurrt der Mann ohne Gasmaske. Ich öffne vorsichtig die Augen und blicke in das runde Gesicht eines älteren, kahlköpfigen Mannes. „Braver Junge!“, sagt er und klopft mir auf die Wange. Dann entfernt er sich. Erst jetzt bemerke ich, dass ich mich vor einem Tisch befinde. Einer meiner Bewacher, die, wie ich vermute, hinter mir stehen, drückt mir auf die Schulter. Gleichzeitig drückt etwas gegen meine Knie, so dass ich keine andere Wahl habe, als mich hinzusetzen. Der Glatzkopf setzt sich mir gegenüber. Von dem kurzen Blick, den ich auf seine Uniform erhascht habe, schließe ich, dass er ein Offizier ist. Die Lampe, die mich zuvor geblendet hat, leuchtet nun über uns.
„Also, Genosse. Wer bist du und wer schickt dich?“, will er wissen. Diese Frage haben mir die letzten sechs Tage sechs verschiedene Menschen gestellt. Eine Antwort hat bisher niemand erhalten.
Ich zucke mit den Schultern.
„Du willst nicht reden? Brauchst du auch nicht.“, sagt der Mann und schiebt mir eine Mappe zu. Dann nickt er jemandem hinter mir zu. Sofort werden mir die Handschellen abgenommen. Der Offizier deutet auf die Unterlagen.
„Unterschreiben sie das und wir lassen sie frei.“
Ich blicke die Unterlagen misstrauisch an. Vermutlich ist es ein fabriziertes Geständnis. Das werde ich garantiert nicht unterzeichnen. Ich schüttle den Kopf. Mein Gegenüber legt den Kopf schief.
„Wir haben Beweismaterial in deiner Wohnung und in deinem Büro gefunden. Wenn du bestätigst, dass es dir gehört, und gestehst, spioniert zu haben, tauschen wir dich gegen einen unserer Agenten ein.“
„Ihr könnt mich nicht dazu zwingen, zu gestehen!“, knurre ich. Augenblicklich spüre ich einen unerträglichen Schmerz an der Seite, als würde jemand mir ein heißes Eisen an die Haut halten. Der Schmerz breitet sich in jeden Winkel meines Körpers aus, as hätte man mir Säure in den Blutkreislauf gegeben, die nun an jeder Zelle gleichzeitig nagt. Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Plötzlich hebt der Offizier die Hand und der Schmerz lässt augenblicklich nach.
„Keine äußeren Verletzungen! Wir sind doch ein zivilisiertes Land, oder?“, sagt er. Dann deutet er hinter mich. „Du bist sicher durstig, oder?“
Kaum hat er das gesagt, werde ich hochgezerrt und zu einer Tonne geführt, die von einem Scheinwerfer beleuchtet wird. Der Geruch von Ammoniak steigt mir in die Nase. Als ich näher komme, bemerke ich, dass die Tonne bis zum Rand mit Flüssigkeit gefüllt ist. Und je näher ich der Tonne komme, desto stärker wird der Gestank.
„Ist das...“
„...Urin. Richtig.“, sagt der Offizier von irgendwo hinter mir. „Wollen sie immer noch nicht kooperieren?“
Mein Herz beschleunigt sich. In Gedanken spiele ich den Kurzvortrag meines Ausbilders ab, als er uns erklärte, wie man Waterboarding übersteht. Aber Waterboarding mit Wasser ist etwas Anderes, als in Pisse getaucht zu werden. In diesem Moment spüre ich einen Ruck nach unten und im nächsten Augenblick werde ich in das Fass getaucht. Ein Schauder läuft mir den Rücken herunter. Instinktiv fange ich an, mich zu wehren. Ich versuche so gut ich kann, dem Griff meines Peinigers zu entkommen, doch es ist zwecklos. Langsam beginnen meine Lungen, zu brennen. In diesem Moment werde ich herausgezogen und fülle meine Lungen sofort mit Luft.
„Na, kooperierst du?“, fragt der Glatzkopf. Ich erwidere seinen Blick, aber sage nichts. Er nickt, und im nächsten Moment spüre ich wieder den warmen Urin an meinem Gesicht. Diesmal werde ich etwas länger in der Tonne gehalten.
„Immer noch durstig?“, will der Mann wissen. Auf einmal tritt aus den Schatten ein junger Soldat an ihn heran, salutiert eilig und flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Offizier nickt zufrieden, dann dreht er sich zu mir.
„Du hast genug getrunken!“, sagt er und wieder zerren mich die Wachen vom Tisch. Ein weiterer Mann sitzt mir nun gegenüber. Ich kenne ihn, aber ich darf es nicht zeigen. Es ist mein Partner. Wir wurden gemeinsam mit dieser Mission betraut. Auch er stinkt nach Urin. Obwohl er sichtlich erschöpft aussieht und mit Sicherheit auch gefoltert wurde, ändert sich seine Mine nicht, als er mich sieht. Gut so. Der Offizier stellt sich an den Tischrand, so, dass er uns beide ansehen kann. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass einige weitere Wachen hinzugekommen sind.
„Ihr wollt beide nicht gestehen, stimmt's?“, fragt der Glatzkopf. Mein Gegenüber sieht ihn nicht einmal an. Ich schüttle den Kopf. Er zuckt mit den Schultern und zieht ein glänzendes Objekt aus dem Pistolenholster. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass es sich um einen Revolver handelt. Der Offizier entfernt alle Kugeln, bis auf eine.
„Wenn ihr beide euch weigert, wird einer von euch beiden heute sterben. Der Andere kommt frei. Egal ob er kooperieren will, oder nicht.“, sagt er und legt den Revolver auf den Tisch. Augenblicklich heben unsere Bewacher die Waffen. „Du! Fang an!“. Der Glatzkopf deutet auf meinen Partner, doch er rührt sich nicht. Sofort kriegt er einen Stromschock von einer der Wachen. Zögernd greift er die Waffe, hält sie sich seitlich an den Schädel und drückt ab. Nichts passiert. Zum Glück. Der Offizier nimmt die Waffe und legt sie vor mir hin.
„Jetzt bist du dran. Es sei denn jemand von euch beiden will gestehen.“
Ich schließe die Augen und lasse mich von meinen Gedanken fluten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich sterbe, beträgt 1/5. Oder ich kann gestehen.
„Ich möchte die Unterlagen sehen!“, sage ich.
Der Offizier grinst. Mein Gegenüber kneift die Augen kaum merklich zusammen. Jemand legt mir die Mappe von vorhin neben die Waffe. Ich schlage die erste eite auf. Kyrillisch. Der ganze Text ist auf russisch. Ich habe keine Ahnung, was da steht. Nein. Ich nehme den Revolver und halte ihn mir an den Kopf. Das kalte Metall lässt mein Herz höher schlagen. Dann drücke ich auf den Abzug. Nichts passiert. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Die Waffe geht weiter an meinen Gegenüber. Auch er zögert diesmal etwas, aber nach einem weiteren Stromschlag drückt er ab. Wieder nichts.
„Sie haben doch beide Familie, oder?“, sagt der Offizier. Unweigerlich flattert ein Kaleidoskop an Bildern an meinem geistigen Auge vorbei. Ich sehe meine Frau und meinen kleinen Sohn. Der brennende Schmerz des Elektroschockers holt mich in die Realität zurück. Mir war völlig klar, dass ich in Gefangenschaft geraten könnte, als ich den Auftrag annahm. Auf einmal kommt mir ein anderer Gedanke: Vielleicht hat mich die Regierung ja bereits für tot erklärt. Vielleicht sind sie ja gar nicht gewillt, mir zu helfen oder mich einzutauschen. In dem Fall wäre es sogar besser, mein Leben jetzt zu beenden, anstatt ewig in einer Zelle zu verrotten. Jemand entsichert seine Waffe.
„Ich zähle bis drei!“, ruft ein Soldat.
„Schon gut!“, knurre ich und halte mir den Revolver wieder an den Kopf. Irgendwie ist es trotzdem angsteinflößend, zu wissen, dass man sein eigenes Leben in der Hand hält. Aber der Tod ist in diesem Fall deutlich besser.
„Ach, scheiß drauf!“, rufe ich und drücke ab. Nur ein Klicken. Kein Schuss. Der Offizier grinst.
Entweder mein Gegenüber stirbt jetzt, oder ich. Ein beunruhigender Gedanke.
„Letzte Chance, zu unterzeichnen, Freunde!“
Auf einmal kommt mir eine Idee. Gespannt warte ich, bis mein Gegenüber die Waffe aufhebt. Tränen laufen ihm über das Gesicht.
„Sag meiner Frau, dass ich sie liebe!“, schluchtst er, dann drückt er ab. Wieder passiert nichts. Jetzt ist es traurige Gewissheit. Ich werde sterben. Mit zitternden Händen nehme ich die Waffe an mich und drücke sie an die Schläfe. Mein Blick bleibt am Offizier kleben, der mich gespannt anschaut.
„Irgendwelche letzten Worte?“, will er wissen. Ich grinse. Mein Hirn führt letzte Berechnungen aus. Das müsste klappen.
„Fahr zur Hölle!“, rufe ich und im selben Moment richte ich die Waffe auf seinen Kopf und schieße. Daneben.