Friday, April 27, 2012

Melde mich zurück!

Na, habt ihr mich vermisst?

Entschuldigt bitte meine Abwesenheit, ich hatte durch die Uni (bzw. HS in meinem Fall) sehr viel zu tun. In der Zwischenzeit ist nicht viel passiert. Nicht viel Erwähnenswertes zumindest...ah, doch: Ich habe mein Manuskript zur Novelle "Wer ist CLAW?" mit Hilfe der Reizenden @DevanAmadeus (ihr Blog ist unter "lesenswert" verlinkt) überarbeitet und zu den Verlagen abgeschickt, mit deren Vertretern ich mich auf der Buchmesse unterhalten habe.

Außerdem habe ich ein neues Projekt begonnen, von dem ich euch gerne das erste Kapitel zeigen möchte:

Das Archiv:

„Eigentlich hätte ich nie gedacht, dass dieser Februartag etwas Besonderes wird. Er fing an, wie jeder andere Tag auch. Ich stand auf, ging die morgendlichen Rituale im Badezimmer durch, zog mich an, ging einkaufen und stellte mir dann aus den gekauften Zutaten etwas Essbares her. Dann setzte ich mich an den PC und verbrachte den halben Nachmittag damit, Pixelsoldaten mit Pixelwaffen die Pixelhirne aus den Pixelschädeln zu schießen. Gegen Abend rief ein Kumpel an und lud mich in eine Kneipe ein. Ich sagte zu, er holte mich mit einem anderen Kerl im Schlepptau ab und wir gingen los. Da wir mit der Bahn fuhren und sowieso am Haupbahnhof umsteigen mussten, entschlossen wir uns dazu, vorher noch etwas zu essen, also nahmen wir Kurs auf das nächste Fastfood-Restaurant. Wir aßen schon eine ganze Weile, als mich einer meiner beiden Begleiter auf ein Mädchen aufmerksam machte, die auf an einem Tisch in der Ecke saß und irgendetwas in ihren Laptop tippte.
„Sie starrt schon die ganze Zeit zu dir herüber. Kennst du sie?“, fragte er. Ich sah zu dem Mädchen,  gerade als sie vorsichtig von ihrem Desktop heraufsah. Für einen kurzen Moment blickte ich in ihre  dunklen Augen, bevor sie weg sah. Der Moment war lang genug, um zu sehen, dass sie keine Schminke benutzte, und um zu erkennen, dass sie etwa in meinem Alter war. Vielleicht ein bis zwei Jahre jünger.  Selbst, als sie sich hinter der improvisierten Deckung ihres Laptops versteckte, entging mir nicht, wie sich langsam die Farbe ihres Gesichts veränderte und sie sichtlich errötete.
„Ich glaube, sie mag dich.“, sagte der andere Kerl. Ich zuckte mit den Schultern, obwohl ich sie recht niedlich fand. Meine Gedanken versuchten gerade, sich daran zu erinnern, wann ich sie gesehen haben könnte. Aber mir fiel nichts ein.
„Ich kenne sie nicht.“, sagte ich. Mein Kumpel grinste.
„Dann lernst du sie halt kennen.“, erwiderte er und gab mir einen leichten Schubser. Zögernd stand ich auf und bewegte mich auf ihren Tisch zu. Sie sah hoch, ihre Augen waren vor Überraschung geweitet, gleichzeitig verspannte sich ihre Körperhaltung. Sie war anscheinend nicht vorbereitet auf ein Gespräch.
„Hi. Wie geht's“, fragte ich. Es war nicht der beste Anmachspruch, aber in den wenigen Sekunden, die mein Hirn Zeit hatte, zu überlegen, war mir nichts Besseres eingefallen. Sie zuckte mit den Schultern. Ich hob eine Augenbraue. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Dann fiel mir der Koffer auf, der unter ihrem Tisch stand. Vielleicht war sie auch einfach nicht aus Deutschland und konnte die Sprache nicht. „How are you?“, versuchte ich es auf englisch.
Die Reaktion war die Selbe. Sie deutete auf ihren Mund, dann zuckte sie mit den Schultern. Der pessimistische Teil meines Hirns schlug mir einen unangenehmen Gedanken vor, den ich einer kaum merklichen Kopfbewegung wieder vertrieb. Stattdessen formte ich mit meinen Händen ein imaginäres Viereck, dann tat ich so, als würde ich einen unsichtbaren Stift in der Hand halten. Das Mädchen zog ein Notizbuch und einen Kugelschreiber aus ihrer Jackentasche, kritzelte hastig etwas auf ein leeres Blatt, dann schob sie das Büchlein zu mir, wobei sie verlegen, fast schon schuldbewusst, zu Boden sah.
„Ich bin taubstumm“, stand auf der sonst leeren Seite. Ich lächelte, nahm den Kugelschreiber und schrieb meine Antwort.
„Ich wollte eigentlich nur den Stift und den Zettel haben. Hallo, ich bin Arthur. Wie geht’s dir?“
Sie betrachtete den Zettel einen kurzen Moment, dann lächelte sie. Ich wusste selbst nicht genau, wieso ich so geantwortet habe, aber ich wusste, dass ich mir Vorwürfe machen würde, hätte ich es nicht getan. Als sie mir den Zettel zurückreichte, stand darauf. „Ich bin Linda, und mir geht es wunderbar!“
Ich sah sie an und blickte in das schönste Lächeln, das ich je gesehen habe.“
Die Frau zu meiner Linken sieht mich erwartungsvoll an. „Und dann?“
„Dann haben wir uns unterhalten. Als ihr Notizbuch voll war, bin ich losgegangen und habe ein Neues gekauft. Als sie fahren musste, habe ich mir auch eine Fahrkarte gekauft und bin mit ihr gekommen.“
„Und deine Freunde?“
„Die sind ohne mich in die Kneipe gegangen.“
„Fühlten die sich nicht im Stich gelassen?“
Ich schüttle den Kopf.
„Die haben es mir doch selbst vorgeschlagen.“
Die Frau nickt. „Und was ist danach passiert?“
„Dann haben wir fünf wunderschöne Tage miteinander verbracht.“
Jedes dieser Worte spreche ich extra langsam aus und bewege meinen Mund übertrieben. Linda sitzt mir gegenüber, liest meine Lippen und lächelt ununterbrochen. Als sie sieht, was ich gerade gesagt habe, nimmt sie ein Blatt Papier vom Stapel auf dem Tisch und schreibt etwas auf. Dann faltet sie den Zettel und schiebt ihn mir zu.
„Jedes einzelne dieser Worte ist ein Grund mehr, dich zu lieben!“, steht da. Ich forme meine Lippen zu einem Kuss.
„Sagt mal, ist das nicht auf Dauer anstrengend, die ganze Zeit Zettelchen zu schreiben?“, will der Junge wissen, der rechts von mit sitzt. Ich schüttle den Kopf.  „Nein, Dima. Überhaupt nicht.“
Er hebt eine Augenbraue. „Echt nicht? Mir tat nach fünf Stunden Abi-Klausur schon der Arm weh.“
„Dann hast du wohl nicht genug trainiert, würde ich sagen.“, pariere ich.
Die Frau beginnt zu lachen. „Der war gut, Arthur!“
Ich nicke. „Ja Nora, der ist auch von mir.“
Dima schaut mich mit gespielter Empörung an. „Immer auf den Kleinen, oder was?“
„Nein, immer auf den Antiromantiker!“, kontert Nora. Plötzlich fällt mir etwas ein.
„A propos romantisch.“, sage ich, dann nehme ich den Zettel, den mir Linda vorhin gereicht hat, schreibe das Wort „Archiv“ darauf und schiebe ihn zu ihr herüber. Sie nickt, dann steht sie auf und holt einen dicken, roten Aktenordner aus dem Regal. „Sehr wichtig!“ steht an der Seite.
Sie legt den Ordner auf den Tisch. „Hier ist jedes Gespräch abgeheftet, das wir je geführt haben. Vom ersten Flirt bis heute.“, sage ich. Nora legt sich beide Hände an die Wangen. „Nein, wie süß.“, piepst sie. Ich nicke. Dima streckt die Arme in die Höhe.
„Bist du müde?“, frage ich. Er schüttelt den Kopf.
„Er will bloß nicht über fremde Beziehungen reden.“, erklärt Nora. Dima nickt kaum merklich.
„Wir hatten uns zum Karten spielen verabredet...“
„...was wir auch gemacht haben, bis du wissen wolltest, wie sich Arthur und Linda kennen gelernt haben.“, fällt Nora ihm ins Wort. Er schaut betreten zu Boden. „Okay, okay.“
Dann blickt er zu mir. „Sei mir nicht böse, aber ich finde einfach, dass eine Beziehung, in der man die Stimme des Partners oder der Partnerin nicht hört, für mich undenkbar wäre.“
„Worte können lügen, Taten nicht.“, entgegne ich.
„Aber auch geschriebene Worte können lügen, oder?“, kontert er. Nora steht auf.
„Dima, komm, wir gehen. Bevor du noch mehr Schaden anrichtest.“, sagt sie. Irgendetwas in ihrem Tonfall sagt mir, dass zuhause ein ernstes Gespräch auf Dima wartet. Als Nora aufsteht, steht auch Linda auf. Die beiden Frauen umarmen sich. Ich öffne die Tür, vor der Dima steht, wie ein Hund, der dringend sein Geschäft verrichten muss.
Der Blick, den Nora Dima zuwirft, als die beiden an mir vorbei gehen, sagt alles. Dima tut mir Leid. Denn wenn es etwas gibt, was sie nicht mag, ist es, wenn er ihr irgendetwas Romantisches kaputt redet. Sie ist eine Träumerin, er ein kalter Realist. Im nächsten Moment dreht sich Nora zu mir um.
„Tschüüüs.“, zwitschert sie, dann verschwindet sie zusammen mit Dima im Aufzug. Ich mache die Tür zu. Linda steht neben mir und hält mir einen Zettel hin. „Du liebst sie, nicht wahr?“, steht darauf. Ich schüttle den Kopf und bemerke, dass sie mir keinen Stift hinhält. Die Botschaft ist eindeutig: Sie gibt mir gar nicht die Chance, etwas zu antworten. Ich gehe an ihr vorbei ins Wohnzimmer und nehme den Kugelschreiber, der auf dem Tisch liegt. Die ganze Zeit über beobachtet sie mich ausdruckslos. Ich nehme ihr den Zettel aus der Hand und schreibe. „Ich liebe nur dich!“. Sie nimmt mit den Stift und den Zettel ab und schreibt ihre Antwort. Dann reicht sie mir das Blatt. „Ich habe gesehen, wie du sie angeschaut hast, wie ihr gelacht habt...“, weiter lese ich gar nicht. Stattdessen zerknülle ich den Zettel, dann schlinge ich meine Arme um ihren Körper und drücke sie an mich. Sie drückt ihren Kopf an meine Brust und im nächsten Moment spüre ich ihren Torso beben, während sie anfängt, zu schluchzen. Meine Hand gleitet sanft über ihr schwarzes Haar, doch zu meiner Überraschung verstärkt sich das Schluchzen. Nach einigen Minuten löst sie sich aus meiner Umarmung, nimmt mir das Papier und den Stift ab und beginnt, etwas aufzuschreiben, wobei ihr immer noch letzte Reste von Tränen über die Wangen fließen.
„Du kannst ihre Stimme hören, aber meine nicht!“, steht auf dem Zettel.
„Das war mir schon klar, als ich dich kennen gelernt habe. Ich wusste, worauf ich mich einließ, Schatz! Glaub mir!“, antworte ich.
Sie sieht auf das Blatt, dann lächelt sie. Ich deute auf den roten Ordner. Linda nickt, und heftet den zerknüllten Zettel ein. Gerade, als sie den Ordner in das Regal zurückstellen will, lege ich ihr meine Hand auf die Schulter und forme das Wort „lesen“ in Gebärdensprache. Eines der wenigen, die ich bisher kann. Sie nickt und legt den Ordner wieder auf den Tisch. Zu meiner Überraschung holt sie den Zettel wieder heraus, den sie eben eingeheftet hat und schreibt etwas darauf.
„Tut mir leid wegen dem Gespräch eben. Ich bin wahrscheinlich einfach müde und sollte jetzt schlafen gehen.“
„Das ist vermutlich besser. Schließlich ist es schon spät. Ich will noch etwas im Archiv lesen.“
Sie nickt, dann gibt sie mir einen Kuss und geht in ihr Zimmer.

Meine Blase weckt mich. Ich stehe langsam auf und bewege mich zum Klo. Plötzlich bemerke ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. „Schatz?“, rufe ich instinktiv, doch dann erinnere ich mich wieder daran, dass es sinnlos ist, etwas zu rufen. Mein Pulsschlag verdoppelt sich. Ist ein Einbrecher hier, oder haben meine Sinne mich bloß getäuscht. Vorsichtig bewege ich mich in die Richtung, aus der der Schatten zu kommen schien. Zu meiner Rechten befindet sich die geöffnete Tür meines Arbeitszimmers. Hat es der Dieb etwa...ein lautes Niesen durchbricht die Stille, gefolgt von einem leise gezischten Fluch. Ich hebe die Arme vor die Brust und mache einen weiteren Schritt vorwärts. Auf einmal erwacht die Dunkelheit zum Leben. Eine schwarze Silhouette löst sich aus den Schatten und stürmt auf mich zu. Ehe ich mich versehe, liege ich auf dem Boden. Wenige Sekunden später höre ich, wie die Tür zuknallt. Langsam rapple ich mich auf und gehe ins Arbeitszimmer. Es sieht genau so aus, wie ich es verlassen habe, sogar der Computer und der Laptop stehen noch. Dann gehe ich zurück zum Wohnzimmer. Als ich einen kurzen Blick auf den Tisch werfe, stockt mir der Atem. Der Ordner ist weg.