Gestern ist ein seit langer Zeit ein neuer yatu-Post heraus
gekommen. Davor hörte man ein halbes Jahr lang nur sporadisch von dem Projekt,
alle zwei oder drei Monate erschien ein neuer Beitrag. Der Grund hierfür liegt
in der Struktur des Projekts.
Wie ich in einem meiner vorhergegangenen Blogposts bereits
erklärt habe, lebt yatu von Interaktionen. Jeder kontrolliert nur eine Partei
in diesem System. Die Story, die Geschehnisse dieses Systems, ist nicht
vorgeschrieben sondern entsteht spontan, durch Aktionen und Interaktionen der
jeweiligen Parteien untereinander. Aber was passiert, wenn eine Partei nicht
reagiert? Was passiert, wenn jemand nicht posten kann, weil er andere
Verpflichtungen hat? Seine Handlungsunfähigkeit verzögert die Entfaltung der
Story. Noch schlimmer wird es, wenn die Verpflichtungen so stark werden, dass
jemand überhaupt nicht mehr am Projekt teilnehmen kann. So ist es dem
Projektmitglied ergangen, das unter dem Pseudonym „Desolator“ schreibt. Er trat
aus dem yatu-Projekt aus und bat darum, dass seine Partei künftig nicht weiter
verwendet wird und im Prinzip einfach aufhört, zu existieren.
Jedoch haben Desolator und ich abgemacht, künftig unsere
Parteien stärker miteinander interagieren lassen, und einige bereits
veröffentlichte Posts darauf ausgerichtet.
Nun, mit Desolators Verschwinden, sah ich auch meine Zukunft
im Projekt bedroht, da ich große Teile meiner Handlung auf Interaktionen mit
ihm ausgelegt habe. Im Endeffekt ist es nicht so schlimm gewesen, wie es
aussah, das Projekt geht nun ohne Desolator weiter und einige meiner
Handlungsstränge verlaufen zwar im Sand, aber dafür öffnen sich neue Türen.
Während ich über die Zukunft des Projekts nachdachte und
beriet, war ich jedoch schreiberisch nicht untätig, und habe eine
Kurzgeschichte verfasst, in der ich den Werdegang von Zekko, einem meiner Protagonisten
im Projekt, beschrieben habe, bevor er sich in meinem ersten yatu-Post auf
einem Schlachtfeld wieder findet und die Frau, in die er seit Kindertagen verliebt
war, ihm das Leben rettet. Hier ist die Geschichte, viel Spaß beim Lesen….obwohl,
nein, ich gebe euch erst einmal nur den Prolog.
Das Gerät fängt an zu surren, kaum dass ich es berührt habe.
Wie eine natürliche Abwehrreaktion eines Tieres, das zu schwach ist, um sich
anständig zu wehren und deshalb auf seiner Sprache droht.
Ich betrachte es genauer. Vom Aussehen her ähnelt es einer
verchromten Pistole mit einem etwas dunkleren Zylinder, der den Großteil des
Laufs einnimmt, vier metallischen Ringen, die ihn umgeben, sowie einem zweiten,
etwas kleineren Zylinder, der senkrecht daran befestigt ist. Ich richte die
Konstruktion von mir weg und ziele auf einen Felsbrocken einige Schritte von
mir entfernt. Auf einmal fangen die silbernen Ringe an, rötlich zu glühen.
Bevor ich reagieren kann, spüre ich einen kurzen Ruck, sehe einen kleinen
Schatten, dann explodiert etwas in einem gleißenden Feuerball unmittelbar vor
mir. Eine Welle heißer Luft prallt gegen mein Gesicht. Als ich mich umsehe,
sehe ich eine schmächtige, grüne Kreatur mit auffällig spitzen Ohren neben mir
stehen. Das Wesen sieht aus, wie ein Mensch, ist aber höchstens einen Meter
groß. Ein Goli. Offenbar hat er mir die Pistole aus der Hand gerissen, sie
weggeworfen und uns beiden somit das Leben gerettet.
„Gute Granate!“, sagt er und nickt in Richtung des Rauches,
der nun an Stelle der Flammen getreten ist.
„Was habe ich falsch gemacht?“, will ich wissen. Das ist
schon mein dritter Versuch, meine eigene Waffe zu bauen. Und mein dritter
Fehlschlag.
„Kühlung“, antwortet er. Logisch. Sonst wäre das Gerät eben
auch nicht überhitzt.
„Aber ist die Stickstoffzelle nicht genug?“
Der Goli schüttelt den Kopf.
„Nein. Außerdem...“, er reibt sich kurz über das Kinn,
„...wie willst du verhindern, dass sich die Kühlflüssigkeit erhitzt?“
„Worauf willst du hinaus?“, will ich wissen.
„Du kannst das Gerät nur wenige Male benutzen, bevor es so
endet wie dieser Prototyp. Es sei denn...“
„Zekko!“
Eine Mädchenstimme unterbricht das Gespräch, ich kenne sie
nur zu gut.
„Armia!“, antworte ich automatisch und drehe mich um. Ein
Mädchen mit hellblonden, fast schon weißen Haaren, die zu einem Zopf
zusammengebunden sind, lehnt an einem übermannshohen Pfeiler, der einst wohl
Teil eines größeren Gerüsts war. Hinter ihr steht ein etwas älterer Junge mit
genauso blonden Haaren, sein Mund ist bedeckt von einem Tuch mit einem
eigenartigen Muster. Ein horizontaler Strich, der von vielen vertikalen
Strichen gekreuzt wird. Wie eine Narbe, die ihm quer über das Gesicht geht. Das
ist Procius, Armias Bruder.
„Schon wieder deine merkwürdigen Versuche?“, knurrt er
abschätzig. Merkwürdige Versuche? Irgendwann baue ich diese Waffe und dann
zeige ich es ihm. Ich kann mir schon sein Gesicht vorstellen, wenn er sieht,
wie ich Steine schmelze, als seien sie aus Eis. Vorausgesetzt, er nimmt diesen
lächerlichen Stoffetzen ab.
„Hey. Er schafft das!“, ruft Armia, wobei sie mir
aufmunternd zunickt. „Außerdem hat er ja einen Experten an seiner Seite.“
Bei diesen Worten verbeugt sich der Goli kurz. Plötzlich
hält er inne. Ich bemerke, wie sich sein Körper versteift und sein Gesicht sich
langsam zu einer angsterfüllten Grimasse verzerrt.
„Chimäre!“, kreischt er plötzlich, und im Nu ist er unter
einem Haufen Schrott verschwunden. Kaum hat er das gehört, erwacht Procius zum
Leben. „Eine Chimäre? Wo!“, ruft er. Ich seufze. Er war schon immer ein
hitzköpfiger Draufgänger, aber jetzt übertreibt er. Chimären sind extrem
gefährliche Raubtiere, die jedem Erdaner körperlich überlegen sind. Selbst die
Yad haben mit ihnen Probleme. Procius will doch nicht etwa...wo ist er
überhaupt? Als ich mich umblicke, ist er verschwunden. Aus dem Augenwinkel sehe
ich Armia um die Ecke biegen. Ohne zu zögern laufe ich ihnen hinterher.
Plötzlich bleibt Procius vor uns stehen. Vor uns befindet sich nun eine
weitgehend ebene Fläche, die zu drei Seiten von einer Wand aus Schrott
abgegrenzt wird. Direkt vor der Wand befinden sich mehrere kleine Erdhügel, die
aussehen, wie kleine Gräber. An einem dieser Häufchen macht sich gerade eine
schuppige Kreatur mit sechs Gliedmaßen, einem Schnabel und einem Stachel am
Schwanz zu schaffen. Die Chimäre.
„Bist du bereit?“, fragt Procius, und zieht ein Metallrohr
aus dem Schrotthaufen neben sich.
Armia seufzt und stellt sich vor ihn.
„Hör auf! Du wirst uns alle umbringen!“
Er schiebt sie sanft zur Seite und blickt wieder zu mir.
„Na, Zekko, hast du Angst?“, fragt er höhnisch. Ich nicke.
„Ja, Procius, ich habe Angst“, sage ich. Es stimmt, im
Moment habe ich Todesangst, denn dieses Biest sieht wirklich furchterregend
aus. Procius grinst.
„Ich aber nicht!“, ruft er und stürmt der widerlichen Bestie
entgegen. Ich renne ihm hinterher. Procius bleibt vor der Bestie stehen und
wackelt mit seinem Körper hin und her, während er das Metallrohr mit beiden
Händen festhält. Offenbar hat er es mit der Angst zu tun bekommen. Die Bestie
dreht die Spitze ihres Schwanzes zu dem Jungen. Zwei Schuppen klappen sich
hoch, darunter kommen schwarze Kügelchen zum Vorschein. Dieses Vieh hat Augen
auf dem Schwanz! Ich blicke kurz zu Armia, doch sie ist vor Schreck wie
gelähmt. Ihr Gesicht ist kreidebleich und Tränen sammeln sich in ihren Augen.
„Procius...“, flüstert sie. Das ist das Schlimmste, was man
tun kann. Zuzusehen, wie ein Freund stirbt, weil man sich selbst nicht traut,
ihm zu helfen. Auf einmal macht Armia einen Schritt nach vorne.
„Ich werde mit ihm kämpfen!“, sagt sie und ballt ihre Faust.
Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. „Nein, besser, wir laufen zur Siedlung
und holen Verstärkung!“, entgegne ich.
„Dann stirbt er!“, kreischt Armia
„Besser einer, als drei!“, sage ich, selbst erstaunt über
meine Kaltblütigkeit. Sie sieht mich mit Entsetzen an.
„Das meinst du nicht ernst...“, keucht sie, dann, ehe ich
mich versehe, läuft sie los. Derweil hat sich die Bestie vollständig zu Procius
umgedreht, er steht immer noch wie festgewachsen vor ihr. Der Schwanz der
Chimäre kreist um das Gebiet, beobachtet die Umgebung, schaut sich nach
weiterer Beute um. Das kalkfarbige Maul des Biests hat schwarze Flecken um den
Schnabel herum. Augenblicklich wird mir alles klar. Das ist Yadblut. Dieses
Vieh hat Yadeier gefressen. Auf einmal richtet sich der Schwanz auf, die zwei
Augen fixieren Armia. Sie bemerkt es nicht einmal. Procius traut sich immer
noch nicht, anzugreifen. Scheiße. Ich muss etwas unternehmen. Ich greife in den
Trümmerhaufen, der Teil der Mauer ist, und hole ein kleines, schweres Gerät
heraus. Ich habe keine Ahnung, wofür man es braucht, aber das ist mir auch
egal. Ich brauche es als Geschoss. Eine Sekunde reicht mir zum Zielen, dann
schleudere ich das Objekt auf den Schwanz zu. Ich treffe genau das Auge. Sofort
erwacht die Bestie zum Leben und verfällt in eine Raserei, ausgelöst durch den
Schmerz. Der Stachel schießt nach vorne und bohrt sich knapp neben Armia in den
Boden, gleichzeitig schnappt die Bestie mit dem Maul nach Procius, doch er
weicht aus und lässt gleichzeitig seine Metallkeule auf den schuppigen Hals der
Kreatur niederkrachen. Ich werfe Armia einen weiteren Metallstab zu, damit sie
sich auch im Nahkampf verteidigen kann, doch die Bestie wehrt ihn mit ihrem
Schwanz ab und schleudert ihn mir vor die Füße. Ich sehe, wie Procius an einem
Schrotthaufen emporklettert, offenbar will er das Vieh von da oben mit Abfällen
bewerfen. Kluge Idee. Aber ich muss mich um Armia kümmern. Der Schwanz richtet
sich wieder auf, um erneut anzugreifen. Ich werfe ein weiteres Metallteil nach
dem verbliebenen Auge, aber ich verfehle. Mist. Doch wenigstens habe ich die
Kreatur abgelenkt. Aus dem Augenwinkel sehe ich Armia davonlaufen. Gut, sie ist
in Sicherheit. Jetzt kämpfe ich allein gegen dieses Monster. Blitzschnell gehe
ich meine Optionen durch. Eigentlich ist es aussichtslos: Ich darf meine Augen
nicht von seinem Schwanz lassen, sonst bin ich aufgeschmissen. Aber selbst wenn
ich das Ding unablässig beobachte, kann ich wahrscheinlich nicht schnell genug
reagieren, wenn die Chimäre zuschlägt. Armias Schrei reißt mich aus meinen
Gedanken. Sie wird von zwei Klauen festgehalten. Na klasse. Der Mundteil des
Monsters hat sie zu fassen gekriegt. Ich schaue hoch zu Procius, er kramt im
Müllberg herum. Was auch immer er da sucht. Plötzlich höre ich das gequälte
Kreischen von Metall, das auf etwas ähnlich Hartes trifft, und im nächsten
Moment fällt der Schwanz der Monströsität vor mir auf den Boden und wirbelt
eine Staubwolke auf. Instinktiv hebe ich meine Hände vor's Gesicht und schließe
meine Augen. Als ich sie wieder öffne, steht eine mindestens zwei Meter große
Kreatur in einer silbrigen Rüstung auf dem Rückenpanzer der Chimäre und hält
eine Axt in der Hand, die ruhig vor sich her summt. Jetzt erst sehe ich, dass
es eigentlich keine Axt ist, sondern eher ein Stab, der eine Scheibe und einen
Motor hält. Die Scheibe dreht sich unablässig.
Er greift hinter sich und hebt den Kopf der toten Kreatur in
einer Geste des Triumphs hoch. Dann springt er von der Leiche herunter und
bewegt sich auf mich zu. Jetzt erst bemerke ich, dass die silberne Rüstung ihn
vollständig bedeckt, von Kopf bis Fuß. Das muss ein Yad sein, die dominante
Rasse der GEYA-Union. Man sagt, sie können ohne Wasser nicht überleben, deshalb
müssen sie ständig in einer mit Wasser gefüllten Rüstung herumlaufen.
„Dein Name“, höre ich den Yad knurren. Er muss einen
Lautsprecher in der Rüstung haben, der mit seinem Kehlkopf verbunden ist.
„Zekko...“, antworte ich zögernd. Er nickt.
„Dein Name“, sagt er dann und dreht sich zu Armia um, die
ängstlich hinter dem Chimärenpanzer hervorschaut.
„Armia“, piepst sie und macht einige unbeholfene Schritte
auf uns zu. Sie ist unverletzt. Gut.
„Ihr zwei – Eier gerettet. Das – große Ehre für Erdaner“,
erklärt der Yad. Ich schüttle den Kopf.
„Nicht zwei, sondern drei!“, entgegne ich und zeige auf
Procius, der auf einem Schotthaufen steht und einen Klumpen
zusammengeschmolzenes Metall in der Hand hält. Ohne ihn wären wir zwar nicht
hier, aber er hat auch mit uns gekämpft, somit sollte er auch seinen Anteil am
Lob bekommen.
„Das – Feigling!“, erklärt der Hüne.
„Ich bin kein Feigling!“, ruft Procius, während er von dem
Trümmerberg herunter klettert. Der Yad stampft mit schnellen Schritten auf ihn
zu, greift ihn am Nacken und ehe ich mich versehen habe, drückt er ihn herunter
und hält ihm seine Axt an den Schädel.
„Ehrenloser Kampf genauso wie gar kein Kampf“, sagt er, dann
erhebt er sich und stampft zu uns zurück. „Mein Name Suniga“, sagt er, dann
dreht er sich um und geht. Nach einigen Schritten bleibt er stehen. „Mit zu
Erdanersiedlung?“, will er wissen. Ich nicke und folge ihm mit Armia. Procius
trottet in einigem Abstand hinterher.
Die Siedlung ist überhaupt nicht weit entfernt, wenn man
sich auf einen besonders hohen Trümmerhaufen stellt, kann man die Mauer und die
Wachtürme sehen. Die Verteidigungsanlagen beeindrucken mich jedes Mal, obwohl
ich hier aufgewachsen bin und sie jedes Mal durch das Fenster sehe. Mir fällt
auf, dass fast nur Erdaner die Siedlung bewachen, sie patroullieren mit ihren
Waffen an der Mauer entlang oder sitzen an Ionenkanonengestellen in den
Wachhäuschen. Eigentlich nicht verwunderlich, weil nur Erdaner in der Siedlung
leben, aber andere erdanische Siedlungen werden normalerweise auch von Yad
bewacht. Vor dem Tor stehen zwei Soldaten in dunkelbraunen Rüstungen, mit
Helmen und Gewehren. Die erdanische Uniform für Unionsdiener. Alle tragen eine
Art Säbel am Gürtel, es ist Vorschrift, stets eine Nahkampfwaffe mit sich zu
führen, ausgenommen sind lediglich die mysteriösen Akhi. Nur die Wenigsten sind
je welchen begegnet. Die Wachen nicken kurz, einer hält sich seine Hand in sein
Funkgerät und murmelt etwas Unverständliches. Unsere Eltern stehen schon am Tor
und warten. Eher gesagt, die Eltern von Procius und Armia. Seit meine tot sind,
haben sie mich bei sich aufgenommen und stets wie ein eigenes Kind behandelt.
Die Gesichter der Beiden sind von Sorgefalten gezeichnet.
„Habt ihr wieder auf dem Schrottplatz gespielt?“
Die Frage der Mutter ist an niemanden Bestimmtes gerichtet.
Armia und Procius senken die Köpfe.
Suniga bewegt sich zu den beiden Erdanern zu.
„Diese beiden – Helden!“, sagt er.
„Was haben sie denn getan?“, will der Vater wissen.
„Brut gerettet“, antwortet der Yad. Komische Wesen. Sie
zeigen nie Emotionen, wenn sie sprechen.
„Dieser hier“, sagt Suniga und klopft mir auf die Schulter,
„mit auf Flottenschule.“
Ich reiße meine Augen vor Überraschung so weit auf, dass ich
für einen kurzen Moment Angst habe, dass sie mir aus den Höhlen herausfallen.
Die Flottenschule ist die höchste Bildungseinrichtung der Union. Dort werden
Beauftragte ausgebildet, die am Ende die Kontrolle über einen Ganzen Bereich
eines Schifs haben. Zu einem Beauftragten zu werden ist die höchste Ehre, die
einem Erdaner in der Union zuteil werden kann.
Suniga legt Armia seine Pranke auf die Schulter, wobei er
sich sichtlich nach vorne beugen muss, um das zu tun, und sagt „diese hier
auch!“
Beide Eltern schütteln den Kopf.
„Nein, sie bleiben hier!“, erwidert Mutter. Ich werfe ihr
einen zornigen Blick zu. Als Suniga gesagt hat, dass er uns mit zur Akademie
nimmt, ist mein Herz augenblicklich höher geschlagen. Ich habe zwölf Jahre
meines Lebens in diesem Nest verbracht. Das ist genug. Jetzt will ich die Weite
des Alls sehen. Und diese Frau hat mir gerade die beste Gelegenheit dafür
versaut. Ich seufze, dann gehe ich auf das Haus zu, in dem wir wohnen, wobei
ich sie demonstrativ anremple. Das Gebäude ist im Prinzip nichts weiter als ein
großer Kasten mit Fenstern und einer Wendetreppe an jeder Seite. Vom Dach des Gebädes ziehen
sich Kabel, Drähte und Wäscheleinen zu anderen, ähnlich aussehenden Gebäuden.
Ich schiebe die Magnetkarte in den Schlitz, öffne die Tür und betrete die
Wohnung. Der Flur ist dunkel. Als ich das Licht anschalte, sehe ich sechs
Türen. Drei auf jeder Seite. Rechts die Zimmer der Kinder, also Procius, Armia
und ich, links die der Eltern und das Bad. Ich gehe auf mein Zimmer. Hinter mir
schließe ich ab. Plötzlich klopft jemand an meinem Fenster. Selo, der Goli vom
Schrottplatz. Gut. Jemand anderen will ich gerade nicht sehen. Ich öffne das
Fenster und das kleine Wesen kriecht hinein.
„Da!“, sagt er und stellt einen schwarzen Behälter auf den
Tisch. Auch er hat metallische Ringe um sich herum und eine kleine Anzeige an
der Seite.
„Was ist das?“, will ich wissen, obwohl ich es mir bereits
denken kann.
„Ein Plasmabehälter“, antwortet der Goli seelenruhig, als
sei es nichts Schlimmes, dass er gerade einen Behälter mit dem instabilsten
Material, was es gibt, in eine Wohngegend geschmuggelt hat.
„Bist du wahnsinnig? Wenn die hochgehen, sind wir alle tot!“
Der Goli blickt kurz aus dem Fenster, dann schüttelt er den
Kopf.
„Nicht alle, vermutlich nur alle Bewohner dieses Hauses.
Aber das ist doch gut. Sachen, die unter Druck hergestellt wurden, halten
länger“
Ich seufze. Die Goli waren schon immer für ihre unorthodoxen
Ideen berüchtigt. Und für ihre schrille Stimme, wobei die von Selo noch
angenehm klingt, zumindest im Vergleich mit anderen seiner Artgenossen.
Der Goli holt einige Werkzeuge aus dem improvisierten
Rucksack und legt sie vor mir auf den Tisch.
„Du hast mich vorhin zu etwas inspiriert, weißt du?“
„Wirklich?“
Er nickt, dann hält er mir einen Behälter vor die Nase.
„Weißt du, warum uns das Plasma nicht um die Ohren fliegt?“
Ich nicke und zeige auf die silbernen Ringe.
„Wegen den Magneten“
Selo nickt.
„Genau. Und die Magneten werden mit Stickstoff gekühlt,
damit sie nicht überhitzen. Wenn man aber die Kühlung aussetzt, arbeiten die
Magneten stärker. Somit wird das Plasma solange komprimiert, bis die Magneten überhitzen.
Dann wird das Plasma sich wieder ausbreiten wollen...“
„...und das Gerät explodiert. Clever!“, ergänze ich seinen
Satz. So eine Plasmagranate klingt amüsant. Ich kann mir schon die Gesichter
der Erwachsenen vorstellen, wenn ich ihnen das Gerät irgendwo auf dem
Schrottplatz demonstriere. Armia wird mich lieben.
„Tun wir's!“, sage ich.
Der Goli nickt und reibt sich die Hände. Wir verbringen den
ganzen Abend mit der Herstellung. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben
so sehr geschwitzt. Aber Selo sieht alles ganz gelassen. Entweder, er hat
immenses Vertrauen in unsere Fähigkeiten, oder er hängt nicht am Leben, wobei
er heute bewiesen hat, dass es Letzteres nicht sein kann. Plötzlich klopft
jemand an die Zimmertür.
„Was?“, frage ich genervt. Es ist garantiert Mutter oder
Vater. Ich will mit beiden nicht reden.
„Ist Procius bei dir?“
Mutter.
„Nein!“
„Weißt du, wo er hingegangen sein könnte?“
„Nein!“
Sie verschwindet wieder und ich bastle weiter. Gegen Ende
der Nacht haben wir sechs Granatan gebaut. Jede hat nun einen Knopf, der die
Zufuhr des Kühlmittels unterbricht. Dann hat man zehn Sekunden Zeit, um das
Gerät los zu werden und weg zu schauen, denn die Explosion ist nicht nur so
heiß, wie ein Stern, sondern auch genauso hell.
Ich schaue aus dem Fenster, auf die zwei Sonnen, die sich
langsam nebeneinander über den Horizont erheben. Selo schläft zusammengekauert
auf dem Schreibtisch, direkt neben einer der Granaten. Er ist zwischenzeitlich,
während ich gebastelt habe, losgezogen, hat ein Stück Leder geholt und mir
daraus einen Gürtel genäht, in den meine Granaten hervorragend hineinpassen.
Sie sind von dort aus leicht zu entnehmen und der Druckknopf ist optimal
geschützt.
Plötzlich höre ich aufgebrachte Stimmen vor dem Tor der
Siedlung.
Der Goli reckt den Hals.
„Lass uns mal nachsehen“, sage ich und laufe zur Tür. Im Nu
sitzt er auf meinen Schultern, ich stürme die Treppen herunter und dränge mich
durch die Ansammlung Erdaner, bis ich mir ein Yad seinen Speer vor die Nase
hält.
„Zurück!“, knurrt er. Ich gehorche instinktiv. Procius und
Armia stehen in der Mitte der Masse, zusammen mit ihren Eltern, flankiert von
Suniga und zwei Wachen.
„Lasst ihn!“, sagt Suniga plötzlich. Der Yad vor mir senkt
seinen Speer und ich trete sofort nach vorne.
„Was ist passiert?“, will ich wissen.
„Jemand Eier vernichtet“, erklärt der Yad. Procius! Deshalb
war er heute Nacht nicht zuhause.
„Informationen?“, fragt Suniga mich. Ich schüttle den Kopf.
Nein, ich weiß nichts. Ich habe heute Nacht zwar bloß mit dem Leben der halben
Siedlung gespielt, aber von den Yadeiern weiß ich nichts.
„Yad-Eier-Zerstörer stirbt!“, sagt einer der Yad, die
anwesenden Wächter, die gerade die Menge zurück halten, stimmen mit einem
Kampfschrei zu. Ich blicke zu Procius, doch er wendet den Blick ab. Ich weiß
auch, wieso. Plötzlich tritt Armia vor.
„Ich war das!“, sagt sie.
„Was? Lüg nicht!“, rufe ich, aber es ist bereits zu spät.
Suniga packt sie, drückt sie auf den Boden und aktiviert seine Axt.
„Halt!“, sagt ihr Vater.
„Die Gesetze sagen, dass der Aufpasser des Täters für die
Tat gerade steht“
Suniga legt den Kopf schief.
„Gesetze sagen - Kampf auf Leben und Tod. Wenn du verlierst
– Verbannung für ganze Familie“
Vater nickt und löst ein Messer von seinem Gürtel. Suniga
zögert nicht lange. Mit einem einzigen Hieb hat er ihm den Kopf von den
Schultern getrennt. Armia kniet sofort neben ihm nieder, Procius ballt die
Fäuste. Ich halte vor Schreck meinen Atem an. Er hat sich zwar nur zwei Jahre
um mich gekümmert, aber er hat mich stets behandelt, wie seinen eigenen Sohn.
Und jetzt stirbt er wegen der sinnlosen Rache eines Feiglings. Am liebsten
würde ich Procius jetzt eine meiner Granaten in den Mund stopfen. Auf einmal
spüre ich etwas Kaltes und Schweres auf meinem Kopf.
„Du – mitkommen!“, sagt Suniga.
„Wo...wohin denn?“, stottere ich hervor.
„Flottenschule“, erklärt er.