Traurige
Nachrichten, Freunde.
Julian Assange,
Gründer und Gesicht von Wikileaks, wird nach Schweden ausgeliefert,
wo ihm vorgeworfen wird, zwei Frauen vergewaltigt zu haben (die
Schweden fassen den Begriff „Vergewaltigung“ etwas weiter, als
der Rest der Welt, und sind auch mit der Bestrafung etwas
konsequenter). Zuvor hat er über 500 Tage unter Hausarrest
verbracht, während über seine Abschiebung verhandelt wurde.
Interessant ist,
dass die schwedische Staatsanwaltschaft wohl die Möglichkeit hatte,
nach Großbritannien zu fliegen, um Assange vor Ort in der Villa zu
verhören, in der er gefangen war. Sie haben das Recht nicht genutzt.
Außerdem macht mich die Tatsache stutzig, wie viele Ungereimtheiten
Wikileaks über den Fall zu Tage fördert.
Ich befürchte,
dass sich kurz nach Assanges Eintreffen die USA für ihn
interessieren werden und eine Auslieferung in die Staaten verlangen
werden, wo der Mann so etwas wie der Staatsfeind Nr. 1 ist und ihm so
nette Sachen wie z.B. Spionage vorgeworfen werden. Auf ihn warten
also in jedem Fall schwierige Zeiten.
Aber eigentlich
interessiert mich diese ganze Story aus einem anderen Grund. „The
World Tomorrow“, eine von ihm moderierte Fernsehsendung, wird
wahrscheinlich abgesetzt, denn ich kann mir beim besten Willen nicht
vorstellen, wie er in seiner Zelle Gäste empfangen will.
Aber was ist „The
World Tomorrow“ überhaupt? Im Prinzip nichts als ein Interview,
das zwischen Assange und einem ausgewählten Gast durchgeführt wird,
wobei dieser Gast entweder neben Assange sitzt, oder per Webcam
zugeschaltet wird.
Auf die Gästeliste
möchte ich gesondert eingehen. Zwei Präsidenten, ein Anführer
einer „Terrorbewegung“, zwei Revolutionäre, von denen einer per
Haftbefehl gesucht wird und ein Anderer ebenfalls unter Hausarrest
steht...soll ich weiter machen? Mir fällt keine Show ein, die ein
ähnliches Aufgebot hat. Höchstens „Frost over the World“ von
David Frost, aber der Mann ist auch so etwas wie der Gott des
Journalismus, berühmt geworden durch die legendären Interviews mit
Richard Nixon, und seine Show läuft mehrere Jahre. Die Sendung von
Assange hat sieben Folgen.
Aber auch Assange
als Interviewer ist eine Bemerkung wert. Schließlich ist er, soweit
ich weiß, kein Journalist. Aber er hat einiges durchgemacht und ist
schon mehrfach, zumteil mit einer feindseligen Grundhaltung,
interviewt worden und weiß daher, wie man so ein Gespräch neutral
hält und wie man die richtigen Fragen stellt. Das kriegt er gut hin.
Er lässt die Gäste erzählen, wenn mehrere Personen da sind, dann
lässt er sie untereinander diskutieren und übernimmt nur die Rolle
eines Streitschlichters, falls es ausartet.
Die Tatsache, dass
er nicht für jemanden, einen Fernsehsender zum Beispiel, arbeitet,
hilft ihm auch und verleiht ihm noch mehr Kredibilität in seiner
Rolle als neutrale Partei. Das schlägt sich auch in der Gästeliste
nieder. Mir fällt nämlich kein westlicher Journalist ein, der es
geschafft hat, Hassan Nazrallah zu interviewen.
Ein weiterer
Pluspunkt ist die Tatsache, dass die Interviews vollständig gesendet
werden. Es wird nichts herausgeschnitten oder gekürzt.
Das Beste an der
Sendung ist trotzdem der Informationsgehalt. Man erfährt unglaublich
viel Neues, sowohl über Themen, die in der Vergangenheit von den
Medien reichlich abgedeckt wurden und nun aus dem Blickfeld
verschwunden sind, etwa die aktuelle Situation in Ägypten, wo die
Revolution noch lange nicht vorbei ist, aktuell medienpräsente
Themen, etwa die sich anbahnende Revolution in Bahrain, als auch über
Themen, von denen die Öffentlichkeit nichts mitbekommt. Oder kann
mir jemand die besondere Situation der Medien in Euquador schildern?
Bei all dem Lob
gibt es doch einige Kleinigkeiten zu bemängeln. Zum einen die Kürze.
Ab und an wirken die jeweils halbstündigen Interviews wie
langgezogene Trailer, die dem Zuschauer die Sendung bloß schmackhaft
machen und ihn auf ein acht oder neunstündiges (ich übertreibe
leicht) Interview vorbereiten sollen. Andererseits interviewt er ja,
wie oben bereits gesagt, auch Präsidenten, deren Zeit mit Sicherheit
knapp bemessen ist. Desweiteren fällt mir auf, dass sich fast alle
seine Gäste negativ über die USA oder deren Politik äußern. Ich
will Julian Assange nichts unterstellen, aber mich beschleicht der
Verdacht, dass er diese Sendung als Bühne für weitere
Konfrontationen und Provokationen gegenüber den USA missbraucht.
Mich als Zuschauer stört das nicht, es ist bloß schade, wenn er
seine Gästeliste nach diesem Gesichtspunkt („möglichst
US-kritisch“) auswählt und somit durchaus interessante, aber den
Staaten wohlwollend gesinnte Personen nicht einlädt.